Durch den Tag in der Kinderstube - mit Originalanekdoten
„Das ist so was, wie ein Kindergarten, nur kleiner und mit kleineren Kindern“, höre ich oft. Ein bisschen blauäugig.
Kleinkinder– und Säuglinge erst recht – sind nicht einfach so was wie Kindergartenkinder nur kleiner. Irgendwann mit ca. 3 Jahren macht ein Kind einen Entwicklungssprung, und dann sehe ich es an und merke 'ja, vor eins-zwei Wochen warst du noch nicht so weit, aber jetzt bist du reif für den Kindergarten'. Aber bis zu dem Zeitpunkt haben Kinder noch ganz andere Bedürfnisse und auch Ängste, und deshalb würde ich ihnen gar nicht gerecht werden, wenn ich hier einfach den Kindergarten im Kleinen betreiben würde.
Hier gibt eine feste, kuschlige kleine Spielgruppe behütet von einer Frau, d.h. immer dieselbe feste Bezugsperson, und die heißt Tagesmutter, obwohl die Kinder das anders sehen:
Meine S. (3 Jahre), z. B., erklärte mir einmal, sie habe eine Tagesmutter, ihr Papa hatte das jemandem erzählt.
Ich versuchte, ihr rüberzubringen, dass ich ihre Tagesmutter sei. „Nein nicht du“, sagt S., „meine Tagesmutter“. „Aber ich bin doch deine Tagesmutter. Das sagt man so, weil ich mich tagsüber, wenn die Mütter arbeiten, um die Kinder kümmere.“ „Nein“, beharrt S. mit dem etwas genervten Tonfall, den man manchmal drauf hat, wenn man mit völlig begriffsstutzigen Leuten zu tun hat, „meine TAGESMUTTER! Du bist doch die Gudrun!“
Untergebracht war die Kinderstube zunächst in Mieträumen in Heidelberg. Jetzt haben wir ein eigenes Haus in Eppelheim. Klein-K. (damals 2) hatte es gesehen, als gerade mal der Rohbau des Erdgeschosses stand. Kommentar: „Die Dudrun hat ein Eppelhaus, aba is nuuur eine Baudelle. Und da fehlt noch das Wasssbecken und das Klo". Damit hatte das Haus seinen Namen weg.
Kinderbetreuung ist oft eine anstrengende Arbeit, aber auch eine sehr schöne. Ich finde der Knackpunkt ist, dass man von den Kindern ausgeht, nicht von der Betreuung: man muss Bedingungen schaffen, unter denen es den Kindern gut geht, das muss an erster Stelle stehen. Und was die Betreuung anbelangt, wenn die Kinder sich so richtig sauwohl und geborgen fühlen, dann ist meine Arbeit auch leichter.
Natürlich wollen oder müssen Mama und Papa arbeiten, und brauchen dann einen Platz, wo sie ihr Kind lassen. Aber das sollte doch nicht der Platz sein, wo „du jetzt hingehen musst, weil Mama und Papa jetzt keine Zeit für dich haben." Bei dem Spruch möchte ich die Eltern immer fragen, ob sie eigentlich einen Abstellplatz für ihr Kind suchen oder einen Platz, wo es hingehört, gern hingeht, behütet ist, geliebt wird, spielen kann und glücklich ist - und ganz nebenbei noch viel lernt. Jedenfalls sagte mir das z.B. eine Erzieherin aus einem hiesigen Kindergarten, als sie mir das erste Mal persönlich begegnete. Sie meinte, man merke es den Kindern an, wenn sie von hier kommen „an ihrem Sozialverhalten, an ihrer Selbstständigkeit, daran, was sie schon alles gelernt haben... Die nehmen wir immer gerne". Zwei Grundschullehrerinnen sagten mir sogar schon, sie wären froh, wenn alle Kinder, die in die erste Klasse kommen, in so manchen Dingen so weit wären, wie diejenigen, die von hier in den Kindergarten wechseln.
Zum Tagesablauf:
Die Kinder kommen morgens an und „fliegen" von Mamas/Papas Armen in meine. Es wird erst einmal gespielt, je nach Jahreszeit und Wetter drin oder draußen im Garten.
Was mich dabei immer wieder fasziniert, ist wie akkurat sie das wirkliche Leben nachspielen. Z. B. hat man so die verrückte Vorstellung, Kinder würden sich auf ein Bobbycar setzen, losdüsen und „brmmm, brmmm“ machen. Erwachsene sind halt schon ein bisschen weltfremd. Kinder dagegen wissen, wie die Wirklichkeit aussieht (drei Beispiele):
- L. (2): „Menss, beeil diss sson, iss steh im Paakvabot“.
Y. (2):(hupt) „Fahr weiter!“
F.(2): „Deht dit, Ambi issod“ (geht nicht, Ampel ist rot)
Y.:„Oh Manno, jetzt fahr sson“.
F.:„Oh Mann! Bit du doof? Ambi issod“.
- Ein anderes Mal komme ich in den Garten, die Kinder sitzen gelangweilt auf ihren Bobbycars und gucken genervt aus der Wäsche. Ich frage: „Was ist denn los? Warum fahrt ihr nicht mit euren Autos?“ M.(3): „Stau!“
Vormittags sind wir auch oft unterwegs. Dazu müssen wir uns erst einmal anziehen. Die Kinder hier lernen schon sehr früh, das selbst zu tun. Für eine Tagesmutter, die mehrere auf einmal fertig kriegen muss, lohnt es sich, Zeit und Mühe zu investieren, um den betreuten Kindern Selbstständigkeit beizubringen. Mittelfristig zahlt sich das aus: ich werde schneller fertig, die Kinder sind stolz auf sich, die Eltern profitieren mit. Aber es kostet Geduld und Spucke:
Einmal sollten sie die Regenhosen anziehen, bevor wir rausgehen und, wie immer, zog ich die Kleinen an und half den Großen dort, wo es nötig war. Niemand muss es selbst können, nur Mühe geben sollen sie sich. Da freute es mich nicht besonders, als C. mir die Regenhose einigermaßen unartikuliert motzend vor die Füße knallte. „C.,ich hab’ gesagt, du sollst die Hose anziehen“. C. hob die Hose wieder auf, funkelte mich an, schmiss sie mir noch einmal (reichlich theatralisch) vor die Füße und schrie völlig entrüstet:„Wossat!!!!!!!“ Endlich verstand ich. Sie nicht? O.k. Noch ein Tipp: F. konnte das mit 2 ½ Jahren schon wesentlich besser ausdrücken: „Wurst nicht mein Hose!“ Genau! Die Hose demonstrativ vor meine Füsse knallen und mich wütend anfunkeln heißt: „Da! Sieh dir das an! Wie soll ich die anziehen?“ und „Wossat" heißt: „Die ist verwurschtelt. Mach sie richtig!"
Und zur Regenhose gehören...? Na klar! Gummistiefel! Sehr wichtig!
Y.(2): „Du hast Dummidiefel an. Du darfst in die Pfützen treten. Du hast auch Dummidiefel an. Du darfst auch in die Pfützen treten. Du hast teine Dummidiefel an. Du darfst nit in die Pfützen treten. Du hast Dummidiefel an. Du darfst in die Pfützen treten. Ich darf auch in die Pfützen treten, wenn ich meine Dummidiefel anhab. Aber dummerweise habe ich die heute zuhause vergessen.“
Gegen Mittag muss ich natürlich kochen. Einmal sieht M. mir zu und sagt:„Tutt mal da hat was despritzt.“
G.:„Wo?“
M.:„Da auf deine Hand.“
G.:„Na so was, da ist ja ein Milchspritzer auf meiner Hand. Soll denn etwa die Milch auf meine Hand spritzen?“
M.:(lacht) „Nein! Die soll doch nisst auf deine Hand spritzen! Die Milss soll doch auf deinen Busen spritzen. Da dehört die doch rein.“
Schließlich waschen die Kinder die Bauchwehtierchen von den Händen. Wie das geht, erklärt B.: „Wir haben die Hände sooo destreichelt, und dann ist der ganze Dreck abdegangen; wir haben den einfach so wegderührt". (Naja, eigentlich zeige ich ihnen, dass sie fest reiben sollen, aber ansonsten...) Und mit sauberen Händen geht's dann an's Futtern.
Wie kann es funktionieren, dass so viele Kinder beim Essen nur von nur einer Tagesmutter betreut werden? Auch hier: Selbstständigkeit. Am ersten Geburtstag bekommen die Lieben die Gabel in die Hand gedrückt. Solche Anfänger schaufeln das Essen oft auf die Gabel, fahren diese quer zum Mund und kippen sie dann wie eine Baggerschaufel. Was nicht daneben geht, geht vielleicht sogar in den Mund hinein. Zum Glück gibt es eine effektivere Methode. C.: „Wie ein Rase Auto. " (Gabel bzw. Löffel in den Mund fahren, wie ein Auto in die Garage).
Auch mit der „Wie-ein-Rase-Auto-Methode" geht mal was daneben. Das nennt man dann „Sauberei", logisch, man muss es ja wieder sauber machen. Man kann es auch „Ch-ch-rei" nennen (welches Tier grunzt „Ch-ch-ch"?). Alles in allem hält sich das aber in Grenzen.
Am zweiten Geburtstag kommt zur Gabel noch das Messer hinzu. Letzteres ist ein so herausragendes Ereignis im Leben eines Kinderstubenkindes, dass schon so mancher auf die Frage „Und wie alt bist du geworden?“ mit „Messer!“ geantwortet hat.
M. ging noch etwas weiter.
„Morgen hat der M....“
„Messa!“
„Ja. Morgen hat der M....“
„Messa!“
"Ja. Morgen hat der M. Ge...“
„-bussag! Messa!“
„Genau! Und dann wird er …
„Messa!“
„Dann wird er (Finger zählen) 1, 2!“
(Finger zählen) „Ei, wei, Messa!“
„Genau! 2 Jahre alt, und dann kriegt er eine...“
„Messa!“
„Genau, und dann kriegt er eine Gabel und ein...“
„Messa!“
Nachdem Essen werden die Zähne geputzt, und wer danach nicht abgeholt wird, kommt nochmal auf den Wickeltisch und hält dann Mittagsschlaf. Bevor ich sie dem überlasse, erzähle ich die Gute-Nacht-Geschichte und gehe reihum, um jedem seinen Gute-Nacht-Kuss zu geben. Das ist eines von unseren vielen tagtäglichen Ritualen.
So dachte sich M. (3) eines Tages, er müsste heute einmal ein Witzchen einbringen, versteckte sein Gesicht und krähte: „Ich bin verswuuundeeen!“ Die anderen fanden das komisch und nachahmenswert, versteckten die Gesichter, und kurz später ertönt nur noch ein einziges Konzert: „Die Kinder sind verswunden, die Kinder sind verswunden...“ Und was macht Gudrun? Die sagt: „Was? Die Kinder sind verschwunden?“ „Ja (polyphon, natürlich)!“ „Sehr schön! Da brauche ich ja heute niemandem einen Gute-Nacht-Kuss zu geben!“ Fünf Gesichter tauchen wieder auf, und fünfkehliges Gejaps geht los: „ Ich bin wieder da .... die Kinder sind wieder da ...“
Und ja, das mit dem Mittagsschlaf klappt tadellos. Dass irgendeiner glaubt, querschießen zu müssen, kommt alle Jubeljahre einmal vor. Und nach dem Mittagsschlaf, gaaaaanz wichtig, wachkuscheln vorm Anziehen und Kämmen.
Danach bekommen die Kinder ihren Obstteller. Auch der ist im Allgemeinen sehr beliebt, allen Unkenrufen zum Trotz. Es gibt natürlich Ausnahmen:
Es hat auch seine Nachteile, wenn die Kinder sprechen lernen. P. war kein großer Obstliebhaber, die Ausnahmen: Brombeeren und – Äpfel. Aber dann, mit dem Sprechen kamen die Ansprüche. Sein Kommentar zu den Äpfeln auf dem Obstteller am Nachmittag: „Nein, ohne Sssale!“ Ein Hoch auf neu erworbene Sprachkenntnisse!
Hmm! „Aber du hast doch sonst immer....“ ist ein Argument, das noch nie funktioniert hat. „Aber die Vitamine!“ ist auch lasch. Hm... wie wär’s mit: „Aber die Gesundheitspolizei in deinem Blut braucht doch die Schale, weil da die Vitamine drin sind.“ Zugegeben, das scheint etwas zu kompliziert für ein Kind, das endlich überhaupt einmal mit dem Sprechen anfängt, hat aber funktioniert. P. hielt das Apfelstück mit Schale hoch, sah mich bedeutungsvoll an und schmachtete: „Polizeiapfel!“ Also, wenn das kein Argument ist!
Nachmittags ist Zeit für kreative Dinge.
Eines möchte ich hier an dieser Stelle ganz klar stellen: ich serviere den Kindern kein Herbstlaub, auch wenn M. (3) behauptete, er und ich hätten die Blätter „gefressen, dell?" Nein, wir wollten damit basteln, und dafür mussten wir sie erst einmal pressen.
Wir basteln viel: Tierbilder, Blumen und derlei, aber auch Dinge wie vor Ostern 1 „Ostereikük" (Kük ist der Singular von Küken, logisch!) und jede Menge Weihnachtsschmuck.
Singen und tanzen tun wir auch meistens nachmittags.
Zu unserem wunderbaren Liedgut gehören natürlich Klassiker wie „Danse Futzemann" (Es tanzt ein Bi-ba-butzemann), „...Kommt der Kater zu der Katze, komm und reich mir deine Tatze... und er streichelt sie ganz Saft (sacht) " und hinreißende Potpourris wie „Der Kukuck und der Esel hatten einen Streit, ruft's aus dem Wald...“ und „Dein (Stein) auf Dein, Dein auf Dein, das Häuschen setzt die Scheiben ein“. O.k., da geht's etwas durcheinander, aber wir arbeiten dran.
Zu besonderen Anlässen singen wir auch „Zum Bottsag viel Lück, zum Bottsag viel Lück!“ Manche können's schon auf Englisch: „Häppie Bärli, juchhuuu! Häppie Bärli juchhuuu!!“ oder „noch englischer" „Happy Bärsday to you, happy Bärsday tooooo youuuu!"